Badische Zeitung, 21. Februar 2009
"Mundart ist Teil der Identität"

SEELBACH.
"Ich spreche gut italienisch. Und dennoch würde ich nicht sagen, dass Rom meine Heimat ist. Denn Heimat hat unbedingt mit Sprache zu tun. Und mit Dialekt.
Hochdeutsch ist zwar praktisch, hat aber keinen Gefühlswert." Der Schauspieler Mario Adorf hat das gesagt. Der "Internationale Tag der Muttersprache", den die Unesco im Jahr 2000 auf den 21. Februar gelegt hat, war für unseren Redakteur Theo Weber Anlass, sich mit dem Ur-Alemannen und Muettersprochler Wolfgang Miessmer zu unterhalten – in Dialekt natürlich. Geschrieben ist das Interview in Hochdeutsch. Denn (noch) nicht versteht jeder Kaiserstiehlerisch oder Seelbacher Ditsch.


BZ: Warum soll ich eigentlich Dialekt reden?
Miessmer: Weil das meine Sprache ist. In der lebe ich, in der denke ich. Die Mundart ist ein Stück Heimat, Identität. Wenn man beispielsweise im Ausland ist und hört vertraute Klänge, dann merkt man erst, wo man daheim ist. In Berlin hat für mich schwäbisch schon fast nach Heimat geklungen.

BZ: Vor 30, 40 Jahren war das anders. Da ist einer eher mitleidig angeschaut worden, wenn er Dialekt geredet hat.
Miessmer: Ja, als provinziell, weil Dialekt logischerweise eine kleinräumige Sprache ist. Wir Alemannen haben ja das Glück, dass wir in fünf Ländern daheim sind, in Baden, im Elsass, in der Schweiz, in Vorarlberg und auch im Aostatal in Italien. Das Schwäbische hat einen wesentlich begrenzteren Raum, ist aber durch Radio und Fernsehen populärer und bekannter. In der Schule habe ich alle Sachfächer in hochdeutsch unterrichtet, habe aber die Kinder dort abgeholt, wo sie daheim sind in der Sprache. Nichts schlimmeres, als wenn ein Lehrer nur hochdeutsch versteht und die Kinder nicht abholen kann, vor allem in der Grundschule. Und jetzt hat die PISA-Studie festgestellt, dass die Kinder, die mit Dialekt aufwachsen, einen Vorteil haben, weil sie zweisprachig aufwachsen.

BZ: Welchen?
Miessmer: Sie binden mehr Synapsen, mehr Schaltstellen aus, sie lernen schon von Kind auf zwei Sprachebenen kennen, den Dialekt daheim, hochdeutsch am Fernsehen. Und sie lernen eine dritte Fremdsprache besser, wenn sie als Kind mit beidem, Dialekt und hochdeutsch, aufgewachsen sind. Ein Beispiel: Dienstag ist im Englischen Tuesday, im Alemannischen Zischdig und das ist ja wörtlich übersetzt Tuesday.

BZ: Ein Grund fürs Hochdeutschreden war doch auch, dass man nicht in die Ecke der Tümler gesteckt werden wollte. Was hat sich da geändert?
Miessmer: Heimat hat heute in der Zeit der Globalisierung eine ganz neue Wertigkeit bekommen. Die Menschen suchen nach etwas, an dem sie sich festhalten können. Mundart ist ein Teil der regionalen Identität. Die Menschen besinnen sich wieder auf die kleine Welt, die kleinen Inseln. Sie brauchen Wurzeln. Das ist ein Grund, warum die Muttersprache so einen Auftrieb bekommen hat. Und im übrigen ist sie ein lebendiges Kulturgut. Mir stinkt’s schon, wenn die Menschen alte Häuser reparieren und teure alte Möbel in die Wohnung stellen, aber das, was noch lebt, die Sprache nämlich, wird einfach fortgeworfen.

BZ: Wie alt ist denn das Alemannische?
Miessmer: Unsere Sprache ist verdammt alt, sie ist älter als das hochdeutsch. Die Basis ist das Mittelhochdeutsche. Der Schweizer Dichter Peter Bichsel zum Beispiel sagt, wir sprechen mittelhochdeutsch. In Kärnten, Slowenien sind im 13./ 14. Jahrhundert die die Diphtonge in Mode gekommen, Österreicher, Bayern und Schwaben haben das mitgemacht…

BZ: … und wir Alemannen haben gesagt, dieses neumodische Zeug machen wir nicht mit.
Miessmer: So ist es. Das Alemannische hat einen ganz eigenen Klang. Ich verweise in diesem Zusammenhang immer gern darauf, dass das Schwäbische eine Unterart des Alemannischen ist. Ich sage das natürlich etwas anders, nämlich, dass Schwäbisch eine Unart des Alemannischen ist.

BZ: Alemannisch reden und singen ja, aber schreiben?
Miessmer: Das ist schwer. Da haben wir auch seit der Gründung der Muettersprochgesellschaft vor 40 Jahren Diskussionen. Es gibt Hinweise, wie man das machen kann, aber es gibt keine verbindlichen Richtlinien. Es ist ja so, dass praktisch jeder Ort seine sprachlichen Eigenheiten hat. Du musst relativ nah am Hochdeutsch bleiben, dann kann es jeder lesen. Hebel hat es so gemacht. Dialekt ist aber eher etwas fürs Ohr.

BZ: Sie sind verantwortlich für das Projekt "Mundart in der Schule". Braucht’s das überhaupt noch, nachdem Mundart wieder In ist?
Miessmer: Auf dem Land sicher weniger als in Großstädten. Da haben die Kinder großteils keine Ahnung mehr, was Dialekt ist. Es ist ganz wichtig, dass die Kinder wissen, woher sie kommen. Allerdings, ich bin in Nonnenweier in der Schule gewesen mit 27 deutschen Kindern und 27 aus dem Elsass. Das Drama: Von den elsässischen Kindern haben nur drei alemannisch gekonnt. Ach ja, interessant bei uns ist, dass die Gymnasiasten im Unterricht und auf dem Schulhof fast nur hochdeutsch reden; schreiben sie aber eine SMS, dann in Dialekt.

BZ: Wie viele Leute machen in dem Schulprojekt mit?
Miessmer: Wir sind 57 Autoren, die in die Schulen gehen, Badener, Schwaben und nun sind auch zehn Franken dabei.

BZ: Können eigentlich noch alle Lehrer Dialekt reden?
Miessmer: Nein, da sieht es nicht überall gut aus. An Schulen, an denen keiner mehr da ist, haben wir auch kaum eine Chance, mit unserem Projekt reinzukommen. Das war der große Bruch nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Völkerwanderung nach Süden gekommen ist. Ein Beispiel auch vom Südwestfunk in Freiburg: Dort durfte nicht Schwäbisch oder Alemannisch geredet werden. Bayrisch war erlaubt, empfohlen war berlinern, hat mir ein Mitarbeiter des damaligen SWF erzählt. Verboten haben sie’s, und wir Alemannen haben das Genick eingezogen und es laufen lassen nach dem Motto, s isch halt so. Selbst in der Seelbacher Realschule ist meine Tochter von einem Kollegen – ich lasse den Namen weg – darauf hingewiesen worden, sie solle doch gefälligst ein besseres Hochdeutsch sprechen. Und selbst vor einem Jahr noch hat eine Pädagogikstudentin aus Seelbach in Karlsruhe eine Note Abzug bekommen wegen dialektgefärbter Aussprache.

BZ: Das heißt, dass es weiter nötig ist, etwas zu tun, um die Mundart zu erhalten.
Miessmer: Da widerspreche ich nicht. Es gibt zwar Leute wie Professor Ruoff, die sagen, man brauche nichts machen, aber das Gegenteil ist der Fall.